Beitrag zur Festschrift für den Direktor des Museums
für Moderne Kunst Frankfurt, Prof. Dr. Jean-Christophe
Ammann erscheint September 2000 beim Verlag Hatje/Cantz,
circa 350 Seiten mit mehr als 50 Beiträgen von Künstlern und Autoren

Für Jean-Christophe Ammann

  1. "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" –
    Überlegungen zum MMK Konzept
  2. Kunst im öffentlichen Raum/Kunst am Bau –
    Risikowürdigung des Privatengagements
  3. Freie Kunstinitiativen –
    Der Luxus, temporär, situativ und prekär zu arbeiten

1. Vor 13 Jahren durfte ich eine Zeit im damaligen Museumsbüro am Sachsenhäuser Ufer als   studentische Hilfskraft arbeiten.Der Rohbau war am Anfang. JeanChristophe Ammann lebte  damals noch in der Schweiz und begann gleichzeitig seine Konzeption für das entstehende   Museum mit dem geplanten Museumsbau zu verbinden. Wenn dann regelmäßig Gespräche   zwischen dem Architekten des Museums, Hans Hollein, und dem kommenden Museumsdirektor im Büro anberaumt wurden, begann bei uns Studenten die Anspannung schnell zu wachsen, denn diese Gespräche waren grundsätzlicher Natur.

Alle mußten aus dem Weg, um Architekt und Ausstellungsmacher bei ihren Lösungsfindungen   nicht zu stören. Prinzipiell standen hier das Architekturkonzept eines künstlerischen und maß  geschneiderten Museumsbaus einem ungewöhnlichen und höchst flexibel gedachten Museums  konzepts gegenüber. "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" war eines der Streitthemen im   gemeinsamen Umgang mit der Palette der Möglichkeiten zur Erstellung des neuen Museums.   Durch den Gründungsdirektor Peter Iden war der Kauf eines der fünf Exemplare von "Blitzschlag  mit Lichtschein auf Hirsch" vor der Bestellung von JeanChristophe Ammann getätigt worden, und   Hans Hollein hatte in einer beachtlichen Homage an seinen schon verstorbenen, frühen Förderer   Joseph Beuys einen eigenen Raum offen über zwei Stockwerke als Herzkammer des "Tortenstücks"   für das Werk entworfen. Das gewissenhaft entwickelte Arrangement der Teile dieses Kunstwerkes   wurde in den nunmehr zehn Jahren des Bestehens nie maßgeblich verändert. Das bis heute einzig  artig radikal gedachte Konzept der Szenenwechsel als Vitalbetrieb eines Museums nutzt den Raum,   in dem der "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" installiert wurde, gewissermaßen als Fixpunkt   innerhalb der mobilen Dramaturgie von älteren und neuen Kunstwerken und deren möglichen Be  ziehungsgeflechten. Ich könnte mir vorstellen, daß die Reflexion über das Werk von Joseph Beuys   eines Tages erlaubt, auch dieses Werk in den Szenenwechsel einzubeziehen, indem von Zeit zu   Zeit weitere fundierte Aufbauinterpretationen erprobt werden. Die Werkstücke von "Blitzschlag mit   Lichtschein auf Hirsch" sind von ihrer Machart bewegbar. Diese Möglichkeit im Umgang würde sich   zum Beispiel bei den Vitrinen im Darmstädter BeuysBlock ausschließen – auf Grund ihrer materiellen  und inneren Subtiliät und der Orginalinstallation durch Beuys selbst. All die in Darmstadt notwendigen   Vorsichtsmaßnahmen, die Eingriffe ohne Schaden unmöglich machen, fallen im Frankfurter Werk nicht ins Gewicht. Interpretationen sind möglich. Das beweist der apokalyptische Unterton, den Heiner Bastian diesem Werk gab anläßlich seiner documenta 8Inszenierung 1987 im Gegenlicht des Hauptraumes des Kassler Fridericianums als Beweis des Scheiterns seiner eigenen Utopie. Auch in Frankfurt wird der erwähnte Spielraum sichtbar offener thematisiert seit Lawrence Weiners   sehr schönes Textbild an der Wand im Raum von "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" eingeladen ist, mit den von JeanChristophe Ammann arrangierten Bestandteile des BeuysWerkes gewissermaßen ins Gespräch zu treten.

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2. Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau beinhaltet einen gewissen Anteil an zwangsverpflichteter  Rezeption. Anders als bei einem Museums oder Galeriebesuch kann sich der Strassenpassant sowie der Mitarbeiter oder Besucher eines privaten oder institutionellen Dienstleisters die angebotenen Reize nur zum Teil aussuchen. Das stellt besondere Anforderungen an die Vermittlung und an die Kunst.   Erfahrene Mentoren oder Jurys und verantwortliche Geldgeber wecken die Neugierde nicht nur für das Neue, Rätselhafte, sondern fördern mit dem zu entwickelnden Zeichen auch kritische Fähigkeiten und aktive Selbstbestimmung und Verantwortung für das Ganze. Motivierend ist bei allen Teilnehmern der Gestaltungswille. Gerade bei Kunst im öffentlichen Raum beweist sich die notwendige Laborsituation für die Kunst mit den Zutaten Selbstlosigkeit, Vertrauen und Risikobereitschaft, als besondere Herausforderung. Andererseits ist  es bei Entscheidungen zu Kunst im öffentlichen Raum nur allzu menschlich, daß die Beteilgten schnell mit der Not sich mit der Kunst beschäftigen zu müssen, fertig werden mächten, ohne Prozess, ohne Entwicklung oder Genese – nur praktische Lösungen bitte! Denn die Kunst ist an dieser Stelle kein kalkulierbarer Profit, sondern ein irritierender Kostenfaktor. Die gewünschten Kriterien und Verfahrensregeln für die Auswahl stolpern meist über die ungeklärte Aufgabe, über die uneingestandene Subjektivität, über unbeirrbare Erfahrungen und über unhinterfragte Rechte und Macht. Hier setzt JeanChristophe Ammann mit Fingerspitzengefühl und Realitätssinn Impulse, sowohl für die Künstler wie auch für die beteiligten Unternehmensvertreter. Das Modell ist das langfristig gedachte Engagement von Persönlichkeiten. Kunst im öffentlichen Raum wie auch Kunst am Bau werden in der Regel zu Zeichen der Machbarkeit und der Veränderbarkeit gesellschaftlicher   Auffassungen, die über die eigene Lebensspanne hinausweisen. Darin manifestiert sich eine Kontinuität in der Kunst und der Gesellschaft. Neben dem Wunsch, den Tod durch Manifestationen in Schach zu halten, steht allerdings auch die Neigung, sich durch Dekoration und Ornament abzulenken. Werden Manifestation   und Neigung nicht spielerisch eingesetzt, so tritt zu Tage, daß wir – je älter wir werden, persönlich wie auch was unsere Auffassungen von dem, was Gesellschaft für uns darstellt – unsere Mäglichkeiten sklerotischer empfinden. Sowohl aus einer spielerischen wie auch aus einer verfestigten Perspektive möchte man den kommunikativen Aspekt der Kunst hervorheben. Der Austausch zwischen Menschen über das, was als menschlich gilt, wird in den Mittelpunkt gestellt. Der schöne Schein und die Verführung können dabei als Vehikel für das beginnende Interesse dienen und stehen einer tieferen Auseinandersetzung nicht prinzipiell im Weg. Kunst im öffentlichen Raum stellt ein Bild her für die Fragen und Schwierigkeiten bei der unabschließbaren Suche nach dem Gemeinsamen. Diese Bilder zu initiieren, ist nicht die Aufgabe von ergebnisorientierten Organisatoren. Diese Bilder stehen heute viel mehr für eine sich in Frage stellende Gemeinschaft von engagierten Teilnehmern! Herrschaftsverhältnisse, in denen sich bestimmte Interessen wahrscheinlicher durchsetzen als andere, behindern Innovationen. Wenn wir uns mit unserem liebgewonnenen Besitz an Vorstellungen zurücknehmen, können unerwartet heilsame Ereignisse eintreten. So etwas wie Offenheit zuzulassen gegenüber sich selbst, der Kunst und den anderen ist schon eine erste ernstzunehmende Leistung.

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3. Offenheit ist nicht zu verwechseln mit einer Art irrgläubigen Wunsch, die eigentliche Kunst möge sich besonders gerne in freien Kunstinitiativen ausdrücken wollen. Das Irrgläubige resultiert aus der Vorstellung, nicht Mitverantwortung tragen zu wollen. Das Unambitionierte dieses Freispruchs würde dem Versuch entspringen, die Offenheit   romantisch in idyllischen Hinterhöfen zu domestizieren und sich eventuell einem bloßen Überdruß an Kunstinstitu  tionen hinzugeben. Unter diesen trügerischen Prämissen steht der zugebilligte Luxus, temporär, situativ und prekär   zu arbeiten in der Kunst wie auch in der Wirtschaft zunehmend als unweigerliche Glücksmetapher und vermeintlicher   Erfolgsgarant. Zunehmend wird Arbeit als das definiert, was wir tun, weniger als das, was an uns vergeben wird. Besonders in der Kunst entwickeln sich dabei kleine, wechselnde Gruppen. Nicht Konformität gegenüber den vorge gebenen Identifikationsmustern, sondern Unmäßigkeit, auch gegen die eigenen Ressourcen, erschließt hier die   Kraftquellen. Dafür ist es notwendig, den Einzelnen als wirksam zu erleben. Das erkennen am schnellsten die   immer stärker werdenden Großsysteme in Wirtschaft und Kultur, auch wenn es an den praktikablen Umsetzungs  möglichkeiten für das "adventure capital" hapert. Die erfahrene Abwicklung kann die Innovation nicht ersetzen. Die persönliche Eigeninitiative ist vonnöten und sucht sich mehr und mehr Wege der öffentlichen Darstellung. Dazu gehören Erinnerungen und Nachbarschaften wie auch das Benennen von Differenzen. Die hierarchiefreieren Möglichkeiten des Rückfragens in kleineren, selbstorganisierten und wechselnden Systemen machen den über greifenden Horizont der eigenen und der gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten deutlich. Ein allzu konsistentes Produkt ist zwar im größeren Stil vermarktbar, allerdings entlarvt sich dieses auch schnell als ermattendes Beispiel einer Unterhaltungs und Versorgungsideologie auf hohem technischen Niveau. Der   Zwang zu vermarktbaren Produkten erstickt sein Umfeld. Produktivität hingegen entfaltet sich in der Phase des   sich entwickelnden Überschwungs. Kunst beinhaltet die sportive Übung, Systemänderungen denken zu lernen. Selbstvertrauen steht der Selbstzensur gegenüber. Die Hinterfragung der Vorgaben und das permanente Erfühlen der eigenen Biographie führen den Willen zu neuen Zielen: Besitz und Privilegien stehen auf neue Art der Teilhabe an der Kultur gegenüber. Auch die Kritik wird zunehmend Beitrag und verläßt ihre angestammte externe Sicht. Kontinuität wird komposit gedacht, synergetisch. Die Vorstellung von Kraft durch Gefälle kommt aus der Mode. Zwar wird dem Gesetz der Massenanziehung nach Belieben gefrönt, es ist aber nicht in der Lage, den Einzelnen   in den Blick zu bekommen. JeanChristophe Ammann unterstützte nicht zuletzt in seiner Arbeit als Vorstandsmitglied   der Hessischen Kulturstiftung auch unspektakulär erscheinende Kunstinitiativen am Beginn ihrer Entwicklung, die sich gewissermaßen qua Konzept nicht oder nur von Fall zu Fall etablieren wollen.

Konstantin Adamopoulos