Samstag 10. November 2001
10 Jahre "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" im MMK
Ein Symposium zur Frage der Präsentation in öffentlichen Sammlungen

Joseph Beuys konnte sein Werkensemble "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch"
nicht mehr selbst installieren. Drei Exemplare der Arbeit sind nun in drei öffentlichen
Sammlungen ausgestellt. Wir haben die verantwortlichen Kuratoren:
Ann Temkin, Philadelphia Museum of Art

  • Laura Heon, Massachusetts Museum of Contemporary Art, North Adams
  • Sean Rainbird, Tate Modern London
  • Mario Kramer, Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main
  • und den freien Kurator Konstantin Adamopoulos

eingeladen, um über die Probleme und Lösungen zu diskutieren.
Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

Beitrag von Konstantin Adamopoulos:

Erste Runde

Ich würde sagen: Die Sache wird plastisch, wenn man anfängt zu denken. Bricht Beuys mit dem Erstellen einer Gußarbeit das Fluxusgesetz der Prozessualität? Erkannte er sein Scheitern, wie es Heiner Bastian zu seiner documenta 8-Installation interpretierte?

Mit dem sensationellen Kauf von "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" stand in Frankfurt eine Frage im Raum: Was ist das denn für ein Beuys, der quasi nach dem Tod entsteht? Wie ist das mit dem Originalcharakter einer Installation, die aus Abgüssen besteht und mehrfach existiert? - Umgekehrt: Das Umgehen mit diesem Werk ist erleichtert, weil es sich um ein stabiles Material handelt und die mehrfache Existenz bietet immer andere Umstände. Das Prozessuale steckt im Naheliegenden. Das halte das ich für interessant.

Das Problembewußtsein, es sei schwierig oder gar unmöglich, den Aufbau so zu leisten, wie Beuys es wohl gemacht hätte und sich daher auf vermutliche Vorbilder zu verpflichten, wie z.B. die Installation "Hirschdenkmäler", von der die hiesigen Teile Abgüsse sind, entspricht dem klassischen Museumstyp. Man kann sagen: An der Installation "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" wird ein neuer Museumstyp erkennbar. Das Museum kommt mit seiner Rolle des Bewahrenden und Öffentlich-Zugänglich-Machens hier nun in die Rolle einer Werkstatt des Werdens von Kunst. Um dieses Kunstwerk zu bewahren und öffentlich zugänglich zu machen, muss das Museum Werkstatt der Kunst sein. Das Werk ist etwas, was es aber noch werden muss. Das gilt damit auch für das Museum. Es ist und es muss werden. Ansonsten würde das Wort Museum nur angestaubt autoritär klingen.

Natürlich können wir sagen, jeder hat seine Meinung. Allerdings würde Beliebigkeit im Tun und im Denken den Ansprüchen an Kunst nicht genügen. Daher sollten die Vorschläge doch sehr einleuchtend sein. Deshalb dieses Symposion und damit sicherlich auch die Fortführung solcher Foren an den Orten des "Blitzschlags", zum Beispiel in Philadelphia, gerade auch weil er dort nicht aufgebaut ist. Er könnte damit sogar "nicht aufgebaut" für das Museum wirken. Das ist auch ein potentieller Zustand. Dieses Ding hat es doch in sich, aufgebaut zu werden.

Zweite Runde

Fragen:
1. Was ist die Aufbaufrage?
2. Was ist daran interessant?
3. Was haben wir damit zu tun?
     a) als Kuratoren
    b) als Zuschauer/Besucher

1. Was ist die Aufbaufrage?
Dass der Aufbau schwierig ist oder Probleme aufwirft, wussten alle Beteiligten. Müssen wir nun etwas entwickeln, was uns noch unbekannt ist? Oder müssen wir etwas entwickeln, was wir uns erschließen können, unsere Erfahrungen aus 14 Jahren "Blitzschlag" zusammengenommen?

2. Was ist an der Aufbaufrage interessant?
Ende der 80er und am Ende des Kunstbooms, mitten im Katzenjammer über die fallenden Preise für Kunst, bezahlte Frankfurt für damalige Verhältnisse sensationelle 2,5 Millionen DM für den "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch". Da wurde gewitzelt: "Frankfurt kauft das teuerste Multiple der aktuellen Kunstgeschichte." Was bedeutet das für die Reputation des Museums? Handelt es sich nicht um ein Original? Braucht es eine Autorisierung? Beuys ist ja während des Entstehungsprozesses der Abgüsse gestorben?

3. Was haben wir damit zu tun?
a: Wir hören, wie Kuratoren ein Kunstwerk aufbauen bzw. einbauen in den Sammlungsbestand (z.B. mit anderen Beuys-Werken, wie in der "Tate Moderne"). So etwas ist dann selbst etwas wie eine Installation. Wie wird eine Installation eine Installation, wenn kein Künstler das Getane autorisiert? Sind das dann nur Interpretationen, bloße Näherungen? Der Begriff "Replik" (originalgetreue Nachbildung eines Kunstwerkes) trifft hier nicht zu, da es kein Vorher für die Installation "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" gibt.

b: In diesem Symposion wird den Besuchern fundiert erklärt, warum jede aktuelle Aufbauerin bzw. Nicht-Aufbauerin mit aller kunsthistorischen Genauigkeit in einem Dilemma arbeitet. "Wir wissen nicht, wie Beuys es aufgebaut hätte. Wir bauen es nach unseren besten Überlegungen und Intuitionen auf." Oder: "Die Raumhöhe ist nicht da". Aber handelt es sich nicht auf diesem Stand der Genauigkeit doch um eine kunsthistorische Fälschung, um ein "Gemälde" das der Künstler nicht gemalt hat - genauer, um eine Installation, die Beuys nicht aufgebaut hat - auch nicht fast oder ähnlich oder viermal verschieden, wie durch die bisherigen Aufbaubeispiele nahegelegt?

Wenn man allerdings die Aufbauproblematik, das Werden des Werkes sehr wichtig und populär macht im Kopf, dann haben wir mehr von der Installation, von dem Werk, von der Kunst, von dem Künstler Beuys. Das überfordert die Besucher nicht, das beglückt.

Nehmen wir hier nun an einem erkenntnistheoretischen oder wahrnehmungstheoretischen Prozess teil, á la "Warten auf Godot"? Kommt das zu lösende Rätsel noch? Muss ein Geheimnis bleiben für die Konstruktion von Wahrheit?

Dritte Runde

Wir, die Betrachter, lassen das Bild sich entwickeln. Selbst das Unsichtbare des Bildes wird durch uns anschaubar. So oder so ähnlich klären wir unser Verhältnis zu Bildern (z.B. Norbert H. Ott in Frankfurter Allgemeine Zeitung, "Und das Wort ward Fleisch", 12.01.2001). Das ist eine alte Wahrheit, die auch besagt, dass es dazu eine Art Geheimnis braucht, ein gewisses Schweigen des Bildes. Und selbst mit Adorno: "Als Erscheinung und nicht Abbild sind die Kunstwerke Bilder."

Wir bemühen uns, unbekannte ästhetische Phänomene angemessen zu versprachlichen. Es ist immer "unser" Blick, der sich begeistert oder entgeistert oder entgeistern läßt. Wir tragen unsere Phantasievorstellungen an die fremden Symbolsysteme heran. So ähnlich hört und liest man es nicht nur über Kunst - mit Recht.

Meine Argumentation kann auf der Evidenz aufbauen, die beim Betrachter entsteht, wenn wir später die Baustellenfotos von Enno Schmidt aus dem Rohbau des Museum für Moderne Kunst Frankfurt ansehen. Diese Fotos zeigen eine Art Proto-Installation, denn die Kiste mit dem Blitzschlag musste in den noch offenen Rohbau eingehoben werden, da er für ein späteres Einbringen in das Museumsgebäude zu groß war.

Vierte Runde

Es kann im Verlauf des Symposions nicht um einseitige Narration gehen. Aber vielleicht laden wir uns durch Spekulationen nur mit elaboriertem Ballast auf? Vielleicht sieht der Gewinn für die Ausstellungspraxis blass aus? Jean-Christophe Ammann verwahrt sich mit Recht davor, Beuys zu spielen im Fall des Aufbaus von "Blitzschlag mit Lichtschlag auf Hirsch". Er bezieht das allerdings auf den Vorschlag von Johannes Stüttgen und IMI Knoebel, die bei ihrem Besuch vorschlugen, die Teile des Werkes simpel nebeneinander auszulegen und den Blitzschlag zu hängen oder auch dazu zu legen, also die Situation des Nichtaufbaus zur ersten Präsentation zu machen. Auf dem Exponatenschild sollte dazu vermerkt werden, dass der Künstler Joseph Beuys das Werk selbst wegen seines Todes nicht aufbauen konnte. Ich bin überzeugt, dass es sich bei diesem Vorschlag nicht um eine anmaßende Attacke auf die Seriosität einer Museumspraxis handelt. Dieser Vorschlag trägt den logischen Grundbedingungen der Situation Rechnung. Das ist ein Vorschlag, wie alle anderen Aufbauversuche auch, mehr nicht. Ich finde den Vorschlag gut. Es geht nicht um ein Dogma. Es geht um die Freude am Denken.

Johannes Stüttgen fiel bei seinem Besuch in Frankfurt die Transportkiste auf, in der der "Blitzschlag" verpackt war. Er bat Enno Schmidt, als in Frankfurt ansässigen Künstler, einige Fotos zur Dokumentation zu machen. Daraus entwickelte Enno Schmidt dann unbekannterweise eine Art künstlerisches Tagebuch von circa 100 Fotografien einer "ungesehenen" Installation der Kiste im Umfeld und Wandel der Weiterentwicklung des Rohbaus des Museums in den Jahren 1988/89.

In seinen Fotos von der Baustelle läßt er ein unerzählbares Märchen aufscheinen, denn die umherstehenden Werkzeuge und Baumaterialien, zusammen mit der Kiste in ihren wechselnden Konstellationen, wirken wie eine Kunst-Installation. Die Kiste wurde immer wieder umgestellt im Bauablauf und "traf" somit immer wieder auf neue Aspekte. Ohne selbst verantwortlich zu sein für die baubedingten Veränderungen, war es Enno Schmidts intentionaler Blick, der dieses Werden aufnahm, wie wir gleich sehen werden.

Die "Kisten-Fotos" sind bei all ihrer Komplexität intim. Es sind Bilder über die Wahrnehmung. Betrachter finden hier die Möglichkeit, vertrauensvoll einzusteigen. Was z.B. auch Mario Kramer spielerisch machte, wie mir erzählt wurde. Als Enno ihm die Fotos zum ersten Mal zeigte, verwies er bei jedem Bild auf jeweils bestimmte Beuys-Installationen. Ich hoffe, er wird das für uns gleich noch einmal wiederholen, während der Schau.

Die Fotos sind rätselhaft verführerisch und bilden tatsächliche Wirklichkeit ab, wie es nur Kunstwerke können. Die "Kisten-Fotos" verstehe ich als Kunst und damit als eine Hommage an die Kunst.

In der Vorbereitung fiel mir bei meinem Lesen hier und da eine genau genommen unpassende Passage auf, die ich trotzdem bezogen habe auf die poetische Qualität der Fotos:

"Die größte Schwierigkeit, mit der dieser Mann wie alle neueren Architekten zu kämpfen hatte, ist die schickliche Anwendung der Säulenordnungen in der bürgerlichen Baukunst; denn Säulen und Mauern zu verbinden, bleibt doch immer ein Widerspruch. Aber wie er das untereinander gearbeitet hat, wie er durch die Gegenwart seiner Werke imponiert und vergessen macht, dass er nur überredet! Es ist wirklich etwas Göttliches in seinen Anlagen, völlig wie die Force des großen Dichters, der aus Wahrheit und Lüge ein Drittes bildet, dessen erborgtes Dasein uns bezaubert." (Goethe, Vicenza, den 19. September1786, über Palladio in "Italienische Reise")

Wir trauen uns an den "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" nicht all zu nah heran. Eine intensive Zeit der Betrachtung und Beforschung steht an. Dazu bieten die Fotos von Enno Schmidt ein interessantes Werkzeug, denn diese Fotos erzählen vom Werden.

Fünfte Runde

(Es werden 45 Fotos von Enno Schmidt als Dias projiziert)

Wir kommen gleich zur offenen Diskussion. An dieser Stelle möchte ich dem Museum, namentlich Klaus Görner und Mario Kramer, für das Symposion danken. Daß ich berichten durfte, hat vielleicht auch damit zu tun, daß ich wohl der bin, der sich das Symposion am längsten gewünscht hat. Im Frühjahr 1987 fuhren Enno Schmidt und ich zu Johannes Stüttgen, um ihn zum "Blitzschlag" zu befragen. Er hält dieses Wochenende selbst Seminar und kann nicht hier sein. Enno Schmidt, als Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH "Unternehmen Wirtschaft und Kunst: erweitert" begleitet heute eine seit 1990 jährlich stattfindenden Pfanzaktion einer "Allee Kassel-Eisenach", ausgehend von der Grenzzaunsituation (siehe letztes Dia von Enno Schmidt ebenda) an der ehemaligen Deutsch-Deutschen Grenze.

Konstantin Adamopoulos, 29. Oktober 2001