Beitrag
von Konstantin Adamopoulos:
Erste
Runde
Ich würde
sagen: Die Sache wird plastisch, wenn man anfängt zu
denken. Bricht Beuys mit dem Erstellen einer Gußarbeit
das Fluxusgesetz der Prozessualität? Erkannte er sein
Scheitern, wie es Heiner Bastian zu seiner documenta 8-Installation
interpretierte?
Mit dem
sensationellen Kauf von "Blitzschlag mit Lichtschein
auf Hirsch" stand in Frankfurt eine Frage im Raum: Was
ist das denn für ein Beuys, der quasi nach dem Tod entsteht?
Wie ist das mit dem Originalcharakter einer Installation,
die aus Abgüssen besteht und mehrfach existiert? - Umgekehrt:
Das Umgehen mit diesem Werk ist erleichtert, weil es sich
um ein stabiles Material handelt und die mehrfache Existenz
bietet immer andere Umstände. Das Prozessuale steckt
im Naheliegenden. Das halte das ich für interessant.
Das Problembewußtsein,
es sei schwierig oder gar unmöglich, den Aufbau so zu
leisten, wie Beuys es wohl gemacht hätte und sich daher
auf vermutliche Vorbilder zu verpflichten, wie z.B. die Installation
"Hirschdenkmäler", von der die hiesigen Teile
Abgüsse sind, entspricht dem klassischen Museumstyp.
Man kann sagen: An der Installation "Blitzschlag mit
Lichtschein auf Hirsch" wird ein neuer Museumstyp erkennbar.
Das Museum kommt mit seiner Rolle des Bewahrenden und Öffentlich-Zugänglich-Machens
hier nun in die Rolle einer Werkstatt des Werdens von Kunst.
Um dieses Kunstwerk zu bewahren und öffentlich zugänglich
zu machen, muss das Museum Werkstatt der Kunst sein. Das Werk
ist etwas, was es aber noch werden muss. Das gilt damit auch
für das Museum. Es ist und es muss werden. Ansonsten
würde das Wort Museum nur angestaubt autoritär klingen.
Natürlich
können wir sagen, jeder hat seine Meinung. Allerdings
würde Beliebigkeit im Tun und im Denken den Ansprüchen
an Kunst nicht genügen. Daher sollten die Vorschläge
doch sehr einleuchtend sein. Deshalb dieses Symposion und
damit sicherlich auch die Fortführung solcher Foren an
den Orten des "Blitzschlags", zum Beispiel in Philadelphia,
gerade auch weil er dort nicht aufgebaut ist. Er könnte
damit sogar "nicht aufgebaut" für das Museum
wirken. Das ist auch ein potentieller Zustand. Dieses Ding
hat es doch in sich, aufgebaut zu werden.
Zweite
Runde
Fragen:
1. Was ist die Aufbaufrage?
2. Was ist daran interessant?
3. Was haben wir damit zu tun?
a) als Kuratoren
b) als Zuschauer/Besucher
1. Was ist die Aufbaufrage?
Dass der Aufbau schwierig ist oder
Probleme aufwirft, wussten alle Beteiligten. Müssen wir
nun etwas entwickeln, was uns noch unbekannt ist? Oder müssen
wir etwas entwickeln, was wir uns erschließen können,
unsere Erfahrungen aus 14 Jahren "Blitzschlag" zusammengenommen?
2. Was
ist an der Aufbaufrage interessant?
Ende der 80er und am Ende des Kunstbooms,
mitten im Katzenjammer über die fallenden Preise für
Kunst, bezahlte Frankfurt für damalige Verhältnisse
sensationelle 2,5 Millionen DM für den "Blitzschlag
mit Lichtschein auf Hirsch". Da wurde gewitzelt: "Frankfurt
kauft das teuerste Multiple der aktuellen Kunstgeschichte."
Was bedeutet das für die Reputation des Museums? Handelt
es sich nicht um ein Original? Braucht es eine Autorisierung?
Beuys ist ja während des Entstehungsprozesses der Abgüsse
gestorben?
3. Was haben
wir damit zu tun?
a: Wir hören, wie Kuratoren
ein Kunstwerk aufbauen bzw. einbauen in den Sammlungsbestand
(z.B. mit anderen Beuys-Werken, wie in der "Tate Moderne").
So etwas ist dann selbst etwas wie eine Installation. Wie
wird eine Installation eine Installation, wenn kein Künstler
das Getane autorisiert? Sind das dann nur Interpretationen,
bloße Näherungen? Der Begriff "Replik"
(originalgetreue Nachbildung eines Kunstwerkes) trifft hier
nicht zu, da es kein Vorher für die Installation "Blitzschlag
mit Lichtschein auf Hirsch" gibt.
b: In diesem Symposion wird
den Besuchern fundiert erklärt, warum jede aktuelle Aufbauerin
bzw. Nicht-Aufbauerin mit aller kunsthistorischen Genauigkeit
in einem Dilemma arbeitet. "Wir wissen nicht, wie Beuys
es aufgebaut hätte. Wir bauen es nach unseren besten
Überlegungen und Intuitionen auf." Oder: "Die
Raumhöhe ist nicht da". Aber handelt es sich nicht
auf diesem Stand der Genauigkeit doch um eine kunsthistorische
Fälschung, um ein "Gemälde" das der Künstler
nicht gemalt hat - genauer, um eine Installation, die Beuys
nicht aufgebaut hat - auch nicht fast oder ähnlich oder
viermal verschieden, wie durch die bisherigen Aufbaubeispiele
nahegelegt?
Wenn man
allerdings die Aufbauproblematik, das Werden des Werkes sehr
wichtig und populär macht im Kopf, dann haben wir mehr
von der Installation, von dem Werk, von der Kunst, von dem
Künstler Beuys. Das überfordert die Besucher nicht,
das beglückt.
Nehmen wir
hier nun an einem erkenntnistheoretischen oder wahrnehmungstheoretischen
Prozess teil, á la "Warten auf Godot"? Kommt
das zu lösende Rätsel noch? Muss ein Geheimnis bleiben
für die Konstruktion von Wahrheit?
Dritte Runde
Wir, die Betrachter, lassen
das Bild sich entwickeln. Selbst das Unsichtbare des Bildes
wird durch uns anschaubar. So oder so ähnlich klären
wir unser Verhältnis zu Bildern (z.B. Norbert H. Ott
in Frankfurter Allgemeine Zeitung, "Und das Wort ward
Fleisch", 12.01.2001). Das ist eine alte Wahrheit, die
auch besagt, dass es dazu eine Art Geheimnis braucht, ein
gewisses Schweigen des Bildes. Und selbst mit Adorno: "Als
Erscheinung und nicht Abbild sind die Kunstwerke Bilder."
Wir bemühen
uns, unbekannte ästhetische Phänomene angemessen
zu versprachlichen. Es ist immer "unser" Blick,
der sich begeistert oder entgeistert oder entgeistern läßt.
Wir tragen unsere Phantasievorstellungen an die fremden Symbolsysteme
heran. So ähnlich hört und liest man es nicht nur
über Kunst - mit Recht.
Meine Argumentation
kann auf der Evidenz aufbauen, die beim Betrachter entsteht,
wenn wir später die Baustellenfotos von Enno Schmidt
aus dem Rohbau des Museum für Moderne Kunst Frankfurt
ansehen. Diese Fotos zeigen eine Art Proto-Installation, denn
die Kiste mit dem Blitzschlag musste in den noch offenen Rohbau
eingehoben werden, da er für ein späteres Einbringen
in das Museumsgebäude zu groß war.
Vierte Runde
Es kann im Verlauf des Symposions
nicht um einseitige Narration gehen. Aber vielleicht laden
wir uns durch Spekulationen nur mit elaboriertem Ballast auf?
Vielleicht sieht der Gewinn für die Ausstellungspraxis
blass aus? Jean-Christophe Ammann verwahrt sich mit Recht
davor, Beuys zu spielen im Fall des Aufbaus von "Blitzschlag
mit Lichtschlag auf Hirsch". Er bezieht das allerdings
auf den Vorschlag von Johannes Stüttgen und IMI Knoebel,
die bei ihrem Besuch vorschlugen, die Teile des Werkes simpel
nebeneinander auszulegen und den Blitzschlag zu hängen
oder auch dazu zu legen, also die Situation des Nichtaufbaus
zur ersten Präsentation zu machen. Auf dem Exponatenschild
sollte dazu vermerkt werden, dass der Künstler Joseph
Beuys das Werk selbst wegen seines Todes nicht aufbauen konnte.
Ich bin überzeugt, dass es sich bei diesem Vorschlag
nicht um eine anmaßende Attacke auf die Seriosität
einer Museumspraxis handelt. Dieser Vorschlag trägt den
logischen Grundbedingungen der Situation Rechnung. Das ist
ein Vorschlag, wie alle anderen Aufbauversuche auch, mehr
nicht. Ich finde den Vorschlag gut. Es geht nicht um ein Dogma.
Es geht um die Freude am Denken.
Johannes
Stüttgen fiel bei seinem Besuch in Frankfurt die Transportkiste
auf, in der der "Blitzschlag" verpackt war. Er bat
Enno Schmidt, als in Frankfurt ansässigen Künstler,
einige Fotos zur Dokumentation zu machen. Daraus entwickelte
Enno Schmidt dann unbekannterweise eine Art künstlerisches
Tagebuch von circa 100 Fotografien einer "ungesehenen"
Installation der Kiste im Umfeld und Wandel der Weiterentwicklung
des Rohbaus des Museums in den Jahren 1988/89.
In seinen
Fotos von der Baustelle läßt er ein unerzählbares
Märchen aufscheinen, denn die umherstehenden Werkzeuge
und Baumaterialien, zusammen mit der Kiste in ihren wechselnden
Konstellationen, wirken wie eine Kunst-Installation. Die Kiste
wurde immer wieder umgestellt im Bauablauf und "traf"
somit immer wieder auf neue Aspekte. Ohne selbst verantwortlich
zu sein für die baubedingten Veränderungen, war
es Enno Schmidts intentionaler Blick, der dieses Werden aufnahm,
wie wir gleich sehen werden.
Die "Kisten-Fotos"
sind bei all ihrer Komplexität intim. Es sind Bilder
über die Wahrnehmung. Betrachter finden hier die Möglichkeit,
vertrauensvoll einzusteigen. Was z.B. auch Mario Kramer spielerisch
machte, wie mir erzählt wurde. Als Enno ihm die Fotos
zum ersten Mal zeigte, verwies er bei jedem Bild auf jeweils
bestimmte Beuys-Installationen. Ich hoffe, er wird das für
uns gleich noch einmal wiederholen, während der Schau.
Die Fotos
sind rätselhaft verführerisch und bilden tatsächliche
Wirklichkeit ab, wie es nur Kunstwerke können. Die "Kisten-Fotos"
verstehe ich als Kunst und damit als eine Hommage an die Kunst.
In der Vorbereitung
fiel mir bei meinem Lesen hier und da eine genau genommen
unpassende Passage auf, die ich trotzdem bezogen habe auf
die poetische Qualität der Fotos:
"Die
größte Schwierigkeit, mit der dieser Mann wie alle
neueren Architekten zu kämpfen hatte, ist die schickliche
Anwendung der Säulenordnungen in der bürgerlichen
Baukunst; denn Säulen und Mauern zu verbinden, bleibt
doch immer ein Widerspruch. Aber wie er das untereinander
gearbeitet hat, wie er durch die Gegenwart seiner Werke imponiert
und vergessen macht, dass er nur überredet! Es ist wirklich
etwas Göttliches in seinen Anlagen, völlig wie die
Force des großen Dichters, der aus Wahrheit und Lüge
ein Drittes bildet, dessen erborgtes Dasein uns bezaubert."
(Goethe, Vicenza, den 19. September1786, über Palladio
in "Italienische Reise")
Wir trauen
uns an den "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch"
nicht all zu nah heran. Eine intensive Zeit der Betrachtung
und Beforschung steht an. Dazu bieten die Fotos von Enno Schmidt
ein interessantes Werkzeug, denn diese Fotos erzählen
vom Werden.
Fünfte
Runde
(Es werden
45 Fotos von Enno Schmidt als Dias projiziert)
Wir kommen gleich zur
offenen Diskussion. An dieser Stelle möchte ich dem Museum,
namentlich Klaus Görner und Mario Kramer, für das
Symposion danken. Daß ich berichten durfte, hat vielleicht
auch damit zu tun, daß ich wohl der bin, der sich das
Symposion am längsten gewünscht hat. Im Frühjahr
1987 fuhren Enno Schmidt und ich zu Johannes Stüttgen,
um ihn zum "Blitzschlag" zu befragen. Er hält
dieses Wochenende selbst Seminar und kann nicht hier sein.
Enno Schmidt, als Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH
"Unternehmen Wirtschaft und Kunst: erweitert" begleitet
heute eine seit 1990 jährlich stattfindenden Pfanzaktion
einer "Allee Kassel-Eisenach", ausgehend von der
Grenzzaunsituation (siehe letztes Dia von Enno Schmidt ebenda)
an der ehemaligen Deutsch-Deutschen Grenze.
Konstantin Adamopoulos,
29. Oktober 2001
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