Text aus dem "Jahrbuch 2001", Institut für moderne Kunst Nürnberg
Seminar: Kunsthochschule und Geld

Unsere Utopie? Das Seminar selbst ist schon die realisierte Utopie! ("u topos" = Nicht-Ort) Als ich als Externer zu einer Art Krisensitzung wegen einer kurzfristig durch den veranstaltenden Sponsor abgesagten Ausstellung eingeladen wurde, schlug ich vor, über den Rand dieses Ereignisses hinaus zu gehen und ein Seminar einzurichten, das verschiedene Berührungspunkte und Felder zwischen Kunst und Wirtschaft, zwischen Unternehmen und Künstlern auslotet. Als Wegbereiter sollten, neben Referenten aus beiden Bereichen, die eigene Intuition und die persönlichen Erfahrungen einfließen können. Denn die Wirtschaftsunternehmen sind interessant für KünstlerInnen, da sie Gesellschaft gestalten. Um so mehr stellt sich die Frage: Was tun Künstler? Es ging also nur am Rand um zugegebenermaßen Wichtiges wie "Künstler als Beruf" oder "Wie bekomme ich die Stipendien?"

In erster Linie ging es, meines Erachtens, um die Realisierung der Utopie, sich an der Unterschiedlichkeit der TeilnehmerInnen und der Ansätze der Gäste zu erfreuen, also darum, ein Forum zu etablieren, wo Mißgunst, Skepsis, Unsicherheit aus wohlwollend-kritischem Interesse am Anderen in Freude gewandelt wird. Die Utopie ist aber auch: das eigene, spontane und individuelle mit sich selbst als Gestalter zu versöhnen. Das größte Hindernis sind ja oft die eigene Bitterkeit, die Selbstsabotagestrategien. Ein Austausch mit Vertretern der jeweiligen Institutionen - Unternehmen und Hochschulen - soll versucht werden, der von wechselseitiger Anerkennung und einem rechtsähnlichen Verhältnis geprägt ist. Es geht doch immer um eine "übernatürliche" Neu-Verortung des einzelnen (Künstlers) in der Gesellschaft und um Neu-Bewertungen der künstlerischen Einzelaktivitäten, die nicht (nur) für eine wirtschaftliche Verwertung geschaffen sind, sondern als "gesellschaftliches Ferment" gehalten werden sollen.

Tatsächlich bleibt das Engagement vorerst das eines handlungsreisenden Beobachters im Feld des Mentalen. "Alice im Wunderland" entzündet die besuchten Themen und Orte. Selbst ein hereinschneiender Bankvertreter hält das Ereignis "Seminar Kunsthochschule und Geld" für in sich und für sich selbst existenziell wertvoll und erwartet keine Gegenleistung, zum Beispiel in Form von verwertbaren Ausstellungen oder Imagegewinn - bis heute. Ein erstes Zugeständnis! Oder das Ende eines Strohfeuers?

"Normalerweise" ist das ganze Erlebnis "ich" und "Gesellschaft" dadaisiert: "Echtes" und "Gespieltes" kommentieren sich. Reale und realistische Lebensentwürfe werden fiktionalisiert, die immanente Welterklärung spielfilmartig verarbeitet und narrativ neu geordnet. Die Doku-Soap bearbeitet für uns die Frage nach Werteerhalt und Neu-Orientierung. Welches Verhältnis nehme ich ein gegenüber meinen eigenen Aussagen von gestern, heute, morgen? Will ich meinen Aussagen glauben? Wer will schon "Realität", wenn es "Image" als Alternative gibt? Wer will denn noch ernsthaft über die Krise der repräsentativen Demokratie streiten? Was wäre denn nun, wenn wir mehr wären als "InvestorInnen" und "VerbraucherInnen"? Was denn? Ist die Existenz (des Künstlers/ der Künstlerin) schon/noch subversiv (für das System)? Existenz wahrzunehmen erfordert Anwesenheit. Die Persönlichkeit ist theoretisch geworden und die Gemeinschaft (der Werbeadressaten) alles, wenn die Schauspielerin Pamela Anderson im Fernseher zitiert wird: "Sex bringt Dich in die Wirklichkeit zurück!"

Utopie, Utopien, Utopiegehalt - schnell denke ich an die sogenannte 68er Zeit und die damit aufkommenden Projektionen: "antiautoritäre Studentenbewegung" in einer "emotional aufgeladenen gesellschaftlichen Konstellation". Das jetztige Seminar soll der Selbstreflexion dienen und einen individuellen Arbeitsansatz für jede Teilnehmerin entwickeln helfen, der es erlaubt eine Grundidentität als KünstlerIn anzunehmen, auszulegen, zu transzendieren, zu verändern. Dabei handelt es sich nicht generell um lebensunfähige Deformationen. Der praktizierende (Künstler-) Teilnehmer steht als sich prozessual verstehendes Modell zwischen Erinnerungsverarbeitung, Vergegenwärtigung von Alltagstatsachen sowie kosmisch-spirituellen Verständigungsversuchen. Dazu kommt die erkannte Situation, als KünstlerIn nicht außerhalb der Welt zu stehen, vielleicht nicht einmal am "Rand der Gesellschaft". Erlebt man sich also als rechtlich verbriefter Teilnehmer wird der Künstler von hier aus das Kollektive in seiner demokratischen Form anerkennen und auf alles Nicht-Menschliche mitverantwortlich ausdehnen. Denn eine (Künstler-) Teilnehmerin wähnt sich für alles gesellschaftliche, private, klimatische, künstlerische im Tätigkeitsbereich mitverantwortlich.

Wenn wir für einen Seminar-Beitrag an einen Utopie-Begriff denken, geht es auch um einen Ort der Zeit und um einen Ort des Begehrens, um das Lernen selbst, darum, Ideen freizusetzen, um Wunder und Bilder, auf die wir später, in ein paar Jahren, zurückkommen können. Umschichten und Wiederholen gehören zur Methode, Verbindungen zulassen, sich verunsichern, um zum Sinnen zu kommen. Als Methode klappt das nie wirklich. - Aber das ist die Chance, daß es sich ab- oder einlagern kann unter den individuellen Anforderungen. Von hier aus hat dann eine Tat gesellschaftliche Bedeutung.

"Imagine" (John Lennon): Mit einem wie auch immer gearteten Utopie-Ansatz ist auch ein elementarer Aufstand verbunden, wider aller konventioneller Lebensentwürfe. Die 68er als Frage nach dem Maßstab individueller und gesellschaftlicher Utopien anzulegen, bietet sich an. Soll doch die Notwendigkeit von Begriffen neu überdacht werden, die in den 60er/70er Jahren relativ unverbunden und parallel zu existieren schienen und klar analysiert und kritisiert wurden. Man gehörte ziemlich genau einer der vier Gruppen an: 1. Individuelle (Konsum-) Freiheit mit Beat, Mode, Kosmetik, (Tanz- und Kino-) Unterhaltung, Jugendbewußtsein, Minirock, Erotik, Selbstdarstellung, in Abgrenzung zu einem Arbeitsethos. 2. Humanität und Demokratie mit Attributen wie kritisch und aktiver Suche nach Alternativen, politisch interessiert, Demonstrationen, gewerkschaftsorientiert, gegen Vietnam, Diskussionen, "neues Bewußtsein", Analysen, Glaube an Veränderungen und Verbesserungen, Mitbestimmung. 3. Beruf- und Familienethos gleichbedeutend mit Sparsamkeit, finanzieller und sozialer Aufstieg vom Arbeiter zum Angestellten, etc., weniger interessiert an Kultur und Politik, mehr an Sport und Auto, Status. 4. Antibürgerlich, ohne materielle Ansprüche, nur Freiheit, Beatnics, Gammler, Hippies, Schnorrer, drop-outs, Lebensfreude, Spaß, Idylle, ohne Belang sind "Leistung" und Politik.

An der Kunsthochschule Düsseldorf stellten sich zu jener Zeit immer mehr StudentInnen gegen den praktizierten Akademismus. Es schien keinen Ausbildungsvorteil zu bieten, passiv belehrt zu werden. Selbstorganisation und konventionell nicht opportune Themen, wie freier Zugang zum Studium und gesellschaftspolitische Fragen standen im Mittelpunkt. Die anti-institutionelle Bewegung der StudentInnen bildete sich selbst neue Institutionen: Deutsche Studenten Partei (das Programm der Partei ist die Erarbeitung des Programms), Lidl-Universität ("hier leben wir, hier lieben wir ..."), Partei der Nicht-Wähler.

Eine so klare Abgrenzung gibt es heute nicht mehr. Man mischt und wechselt vielmehr. Die Frage nach der Relevanz der 68er deutet in diesem Sinn an, daß sich Utopien mit den genannten Attributen (siehe 1 bis 4) mittlerweile zu ausgrenzenden Ordnungs- und Regelsystemen entleert haben. Für eine "schöne" Utopie sind heute Integrationspotentiale freizulegen. Diese Veränderungen in der Wahrnehmung und im Verständnis von Emanzipation und Souveränität sollen sich nun in der Involvierung mit anderen (Meinungen) und in den herrschenden Umständen umsetzen. (Niemand will die Grünen noch einmal neu erfinden). Die permanente Revolution (Utopie) wird neu gedacht. Risiko, Scheitern, Banalität sind Teil der Erkundung - künstlerisch und unternehmerisch gesehen sind das Umschreibungen für Chancen.

Das utopische des Seminarversuches besteht darin, die Funktion einer Kunsthochschule und den Status des studierenden Künstlers mal getrennt und mal verbunden zum Thema zu machen: Genau so wird auch Geld diskutiert: mal als das eigene im realen Gebrauch für Künstler und Kunsthochschule (Staatliche Finanzierung versus Privatisierung) und mal im gesellschaftlichen Gebrauch (Was ist Geld?), d. h. es geht auch um künstlerische Modelle für Geldkreisläufe, um Alternativen und Parallelen. Die dabei eingefangenen Schwierigkeiten zeigen auch den eigenen Stand der Dinge. Für den einzelnen ist das nicht unbedingt rational, da zum Teil intuitiv Grenzen "erkannt" und verschoben werden. Im Gegensatz zu einer verwertbaren Anwendung möglichst vieler der dargebotenen Informationen (Motto: Wie wir erfolgreich werden), geht es hier mehr um Entdeckungen und neue Einsichten - angstfrei, unmäßig aus einer eigenen, "unkommerzialisierbaren" Haltung. Nur das wäre vom Anspruch des Künstlers her akzeptierbar. Dazu wäre eine Kompetenz für emotionale Erfahrungen zu erarbeiten, aus der heraus eigene und fremde Bildentscheidungen überprüft und interpretiert werden. Da könnte eine künstlerische Archäologie der Zukunft ansetzen.

Wie in der Neuen Züricher Zeitung vom 11. Mai 2001 berichtet wurde, haben selbst die "Hochschulen die Grenzen des Denk- und Realisierbaren immer wieder zu überschreiten." Dabei ginge es um "den internationalen Austausch in geistiger und personeller Hinsicht", um einen "brain gain". Vorangetrieben werden soll das mit einem "Einbau der Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften in alle Studiengänge".

Das Blockseminar "Kunsthochschule und Geld"auf der Frankfurter Kunstmesse kann als exemplarischer Versuch gesehen werden, auch sinnbildlich (nach) Außen zu funktionieren- - "kein Ort überall". Denn die kantische "ungesellige Geselligkeit" an der Kunsthochschule ist zu überwinden als gewollte Gegenbewegung zu Autismus, Einsamkeit und Inselmentalität.

Die Skizzen und Texte auf den kommenden Seiten wurden zum Teil mit "Messe-Material" unter dem Suchbegriff Utopie eingebracht und zusammengestellt.

Was meine Forschung betrifft, hänge ich den Denkbildern von Johannes Stüttgen nach. Ich profitiere im gesellschaftlichen Bereich von den Arbeiten vieler Beteiligter an der Einführung der direkten Demokratie (Omnibus), an einem neuen Geldbegriff (Geldkreis), an Unternehmensfragen (Unternehmen Wirtschaft und Kunst - erweitert). Im Konkreten korrespondiere ich im Moment mit dem Hamburger Künstler Armin Chodzinsky und schon seit 13 Jahren mit dem Frankfurter Künstler Enno Schmidt. Die "utopische" Frage beider könnte zusammenfassend lauten: Was wäre denn nun das künstlerische Plus in Wirtschaftsunternehmen, wenn wir Werbung und Motivation, Unternehmensgewinne oder Besitz in Verbindung mit Kunst nicht als primäre künstlerische Ziele definieren?

Konstantin Adamopoulos, Juni 2001