Stefan Gugerel
exponiert (veraltet für "belichten") Vorgefundenes.
Nicht ohne den Wert guter Ironie zu verkennen, setzte er bei
einer Ausstellung in der Saalgasse, Frankfurt im Dezember
1998 rekonstruierte Architekturentwürfe von Walter Gropius
gegen das postmoderne Ensemblr "Römerberg",
zu dem die Straßenrandarchitektur der Saalgasse maßgeblich
gehört. Lebkuchen, Schokolade und Zuckerguß waren
dafür seine Modellbaumaterialien.
An der Mainpromenade
hatte er eines Abends auch etwas vorgefunden - ein imposantes
und doch sehr kurzes Naturschauspiel. Genau am 20. August
2000 gegen 21 Uhr 30 trafen sich die weißen Motten zu
ihrem alljährlichen Abschlußball an den Lampen,
die die Wege am Sachsenhäuser Ufer beleuchten. Kurz entschlossen
entschied sich Stefan Gugerel, auf Verdacht Fotos von diesen
tanzenden Wolken zu machen. Bei sehr großer Blende ohne
Tiefenschärfe stellte er auf circa einen Meter scharf
und blitzte in das durch die Lampen mysteriös beleuchtete
Geflimmer vor schwarzem Nachthimmel. Seine Frage war, was
sich aus diesen vor Ort unklassifizierbaren Morphenen abbilden
würde. Diese kleinsten Bedeutungsträger ihrer Existenz
wurden an diesem Abend zu formalen Bauelementen einer Gestalteinheit.
Stefan Gugerel
trieb sicher kein wissenschaftlicher oder zoologischer Ansatz
zu dieser Arbeit. Ihn interessierte das Phänomen und
eine Möglichkeit zum Bild, wohlweislich, dass ein Bild
gerade etwas anderes ist (Realität) als die Sache selbst
(Wirklichkeit). Denn nie lässt sich das Gefliege in diesem
ungeordneten Verbund des Lichtes anhalten oder gar fixieren.
Er wollte also ein Bild machen von etwas, was nicht sichtbar
ist, vergleichbar einem Moment innerhalb eines Schneegestöbers.
Diese Bilder entstanden in einem Augenblick von an Wahnsinn
grenzender Bewegung der Motten in ihrer Wolke. Der Rat der
Motten endete nach einer Stunde im natürlichen Tod der
Kleinschmetterlinge. Ein kurzer Moment des Lebens wurde in
einem noch kkürzerem Moment des Blitzlichts eingefroren.
Stefan Gugerel interessierte fotografisch - man kann nichts
wissen, nichts stellen oder vorbereiten, wenn er ins Hlbdunkel
hieneinfotografierte - ein konzeptuell kalkulierter Zufall.
Auf dem
belichteten Film waren faszinierende, scheinbar den Sternenkosmos
bebildernde Landkarten weißer Gestirne auf schwarzem
Grund, flächig verteilt oder mit Anhäufungen und
Vereinzelungen an den Rändern der Wolke.
Aus dem
richtungslosen Geflatter der Motten wurden durch die Fotografien
Musteer mit anscheinenden Bewegungsrichtungen, Gewichtungen,
Dynamiken. Jetzt sind da engelsgleiche Lichtwesen, Verglühungen
und Tiefe.Stefan Gugerel erhielt für das Jahr 2002 ein
Stipendium für London von der Hessischen Kulturstiftung.
Er schloss 1994 sein Studium an der Hochschule für Gestaltung
ab. 1992 war er für ein Jahr an der Hochschule der angewandten
Kunst in Wien gewesen. 1994 bis 1995 absolvierte er bei Prof.
Norbert Radermacher an der GHK Kassel ein Aufbaustudium.
Stefan Gugerel
entwickelt seine Werke meist ortsspezifisch und thematisiert
darin gleichermaßen Situationen und deren mögliche
Gedankenbilder. Die entstehende Intensität ist immer
wie inwendig und transformiert die vorgängigen konzeptionellen
Vorstellungen. Im Juni 1999 war er zu einem Projekt mit Kunst
im Öffentlichen Raum in Hannover eingeladen. 1998 hatte
er bei einem ähnlichen Projekt in einer Fußgängerzone
Luftballlons an Kinder verschenkt. Die Ballons waren mit zivilisationskritischen
Zitaten aus der Festschrift zum Stadtjubiläum der Stadt
Gießen bedruckt, die er aus einer Publikation unter
dem Titel "Stadt ohne Hoffnung" von Prof. Heinrich
Brinkmann ausgewählt hatte.
"Motten"
ist eine 10-teilige Serie von Farbfotografien mit variierenden
Motiven in einer Auflage von je drei. Jeder Abzug im Format
100 x 70 cm ist unter Plexiglas headkaschiert und kostet 2500
DM. Informationen unter Telefon (069) 62 22 74.
Konstantin Adamopoulos
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